Versandkostenfrei mit GLS ab 50 € in DE
Sofort lieferbar - Sofort verschickt

Henker im Mittelalter: Zwischen Mythos und Realität

Henker im Mittelalter: Zwischen Mythos und Realität

Die Vorstellung vom Henker im Mittelalter ist oft von Klischees und Verallgemeinerungen geprägt. Doch wie sah die Realität aus?

Key Takeaways:

  • Der Begriff "Henker" war im Mittelalter nicht gebräuchlich; stattdessen verwendete man Bezeichnungen wie "Nachrichter" oder "Scharfrichter".
  • Die Rolle des Henkers entwickelte sich erst im Spätmittelalter mit dem Aufkommen der Städte und neuer Rechtsvorstellungen.
  • Die soziale Stellung und Unehrlichkeit der Henker variierten stark je nach Region und Zeitperiode.
  • Henker hatten oft Nebentätigkeiten wie medizinische Versorgung oder Abdeckerei, um ihren Lebensunterhalt zu sichern.

Begrifflichkeiten und frühe Erwähnungen

Entgegen der landläufigen Meinung war der Begriff "Henker" im Mittelalter nicht gebräuchlich. Stattdessen finden sich in den Quellen Bezeichnungen wie "Nachrichter", "Scharfrichter", "Meister Hans", "Suspensor" oder "Carnifex". Regional gab es auch Namen wie "Freimann", "Angstmann", "Frohen", "Racker", "Tuchtmester" oder "Züchtiger".

Die ältesten Rechtsquellen, sogenannte Volksrechte, die auf alten Stammesrechten basierten, erwähnen keinen spezialisierten Henker. In der Lex Burgundionum findet sich ein königlicher Beauftragter, der "witiskkalk", der dem späteren Fronboten ähnelt - ein angesehener Mann, der Teil des Gerichts war, aber Urteile nur übermittelte, nicht vollstreckte. Erst 1276 wird im Augsburger Stadtrecht erstmals der Henker erwähnt.

Entwicklung der Henkerrolle im Spätmittelalter

Im Spätmittelalter entwickelten Städte einen eigenen Rechtsraum mit neuen Bedürfnissen, insbesondere die Sicherheit des Marktes. Um ihre Autorität zu unterstreichen und die hohe Gerichtsbarkeit zu erlangen, warben Städte professionelle Henker an. Gleichzeitig kam der Gedanke auf, nicht nur auf Verbrechen zu reagieren, sondern sie auch durch Abschreckung zu verhindern - eine Aufgabe, die man nicht mehr der Gemeinschaft überlassen wollte.

In einer zunehmend diversifizierten Gesellschaft mit wachsender Ungleichheit brauchte man jemanden, der die Schuld auf sich nahm und den sozialen Frieden wahrte: den Henker. Doch seine Rolle war komplex und variierte stark von Stadt zu Stadt.

Unehrlichkeit und soziale Stellung der Henker

Die Unehrlichkeit der Henker ist ein vielschichtiges Thema. Im Mittelalter hatte sie noch keine so gravierenden Folgen wie später. Auch andere Berufe wie Müller galten als unehrlich, obwohl sie dem Grundherrn dienten und wohlhabend waren. Unreine Berufe wie Abdecker waren ebenfalls betroffen. Die Definition von Ehrlichkeit hing stark von der jeweiligen Stadt ab.

Im 16. Jahrhundert begann sich die Situation zu ändern. Zünfte schotteten sich ab und schlossen Henker und ihre Nachkommen aus. Eheliche Geburt und Ehrlichkeit wurden zu Kriterien für den Zunftzugang. Doch selbst dann gab es noch Ausnahmen, wie das Beispiel des Nürnberger Henkers Meister Jörg zeigt, dem bei seinem Rückzug das Bürgerrecht und das Holzmesseramt gewährt wurden.

Nebentätigkeiten und Einkünfte der Henker

Da die Einkünfte aus Hinrichtungen oft nicht ausreichten, hatten Henker verschiedene Nebentätigkeiten. Dazu gehörten die Abfallbeseitigung, Aufsicht über das Töten streunender Hunde, Abdeckerei, Kontrolle der Prostituierten oder Heilkunde. In jeder Stadt war die Kombination anders, eine Verallgemeinerung ist unmöglich.

Stadthenker konnten durch diese zusätzlichen Einnahmequellen durchaus wohlhabend werden, wie zahlreiche Beispiele belegen. Ganz anders sah es bei Landhenkern aus, die oft große Gebiete abdecken mussten und deutlich seltener zum Einsatz kamen. Nach dem Mittelalter stieg ihre Zahl zwar an, doch blieb ihr Einkommen prekär und sie gerieten teilweise selbst in die Nähe von Verbrechern.

Medizinische Versorgung und Heilkünste

Eine wichtige Nebentätigkeit der Henker war die medizinische Versorgung - eine Mischung aus Aberglauben und tatsächlichem Wissen. Zu ihren Aufgaben gehörte es, verletzte Delinquenten vor der Hinrichtung gesund zu pflegen und bei der Folter einzuschätzen, ob der Angeklagte noch vernehmungsfähig war.

Henkern wurden oft besondere anatomische Fähigkeiten zugeschrieben, obwohl auch normale Ärzte und Wundärzte dieses Wissen besaßen. Einige verdienten mit medizinischen Diensten viel Geld und wandten sich später ganz der Heilkunst zu. Auch der Handel mit "Armensünderreliquien" wie Fingerknochen oder Fett war verbreitet, ebenso wie Aberglauben rund um Richtstätten und Hingerichtete.

Rechtsprechung und Hinrichtungspraxis

Die Art der Hinrichtung hing hauptsächlich vom Verbrechen und dem Stand des Verurteilten ab. Niedere Vergehen wie Diebstahl wurden oft mit dem als unehrenhaft geltenden Hängen bestraft, schwerere Verbrechen und Adlige mit dem Schwert. Andere Methoden waren das Ertränken, Verbrennen, Vierteilen, Rädern, lebendig Begraben oder Pfählen.

Hinrichtungen fanden meist außerhalb der Stadtmauern an eigens errichteten Galgen oder Richtstätten statt, die auch als Begräbnisorte dienten. Nur Enthauptungen wurden teilweise auf öffentlichen Plätzen vollzogen. Die Vorstellung von Hinrichtungen als Volksbelustigung ist jedoch ein Klischee - sie hatten eher einen sakralen Charakter und dienten der Repräsentation der Gemeinschaft.

Franz Schmidt: Ein Scharfrichter mit Standesbewusstsein

Ein bekanntes Beispiel ist der Nürnberger Scharfrichter Franz Schmidt (1554-1634), der ein detailliertes Tagebuch hinterließ. Unfreiwillig in dieses Amt gekommen, erlernte er das Handwerk von seinem Vater und führte akribisch Buch über seine 361 Hinrichtungen und 345 Leibstrafen.

Schmidt legte großen Wert auf Korrektheit und Ansehen. Er arbeitete eng mit Priestern zusammen, um die Delinquenten seelsorgerisch zu begleiten, und setzte sich für eine Abmilderung besonders grausamer Strafen ein. 1617 beendete er seinen Dienst und erwirkte 1624 die Wiederherstellung seiner Ehre durch den Kaiser. Danach arbeitete er als Arzt - ein Weg, den auch seine Familie einschlug.

Fazit

Das Bild des Henkers im Mittelalter ist von Klischees und Verallgemeinerungen geprägt, die einer differenzierten Betrachtung nicht standhalten. Die Realität war weitaus komplexer und variabler. Erst im Laufe der Frühen Neuzeit bildeten sich jene Stereotype heraus, die bis heute unsere Vorstellung beherrschen. Um sie zu hinterfragen, ist eine genaue Kenntnis der Quellen und der historischen Hintergründe unerlässlich.

Häufige Fragen und Antworten

  1. Wie nannte man Henker im Mittelalter?
    Im Mittelalter war der Begriff "Henker" nicht gebräuchlich. Stattdessen verwendete man Bezeichnungen wie "Nachrichter", "Scharfrichter", "Meister Hans", "Suspensor" oder "Carnifex". Regional gab es auch Namen wie "Freimann", "Angstmann", "Frohen", "Racker", "tuchtmester" oder "züchtiger".
  2. Wann entwickelte sich die Rolle des Henkers?
    Die Rolle des Henkers entwickelte sich erst im Spätmittelalter mit dem Aufkommen der Städte und neuer Rechtsvorstellungen. Um ihre Autorität zu unterstreichen und die hohe Gerichtsbarkeit zu erlangen, warben Städte professionelle Henker an.
  3. Galten Henker als unehrlich?
    Die Unehrlichkeit der Henker ist ein vielschichtiges Thema. Im Mittelalter hatte sie noch keine so gravierenden Folgen wie später und hing stark von der jeweiligen Stadt ab. Im 16. Jahrhundert begann sich die Situation zu ändern und Zünfte schlossen Henker und ihre Nachkommen aus.
  4. Welche Nebentätigkeiten hatten Henker?
    Henker hatten oft Nebentätigkeiten wie Abfallbeseitigung, Abdeckerei, Kontrolle der Prostituierten oder Heilkunde, um ihren Lebensunterhalt zu sichern. Die Kombination variierte von Stadt zu Stadt.
  5. Wie verdienten Stadthenker zusätzlich Geld?
    Stadthenker konnten durch verschiedene Nebentätigkeiten wie medizinische Versorgung, Handel mit "Armensünderreliquien" oder Abdeckerei durchaus wohlhabend werden, wie zahlreiche Beispiele belegen.
  6. Wovon hing die Art der Hinrichtung ab?
    Die Art der Hinrichtung hing hauptsächlich vom Verbrechen und dem Stand des Verurteilten ab. Niedere Vergehen wurden oft mit Hängen bestraft, schwerere Verbrechen und Adlige mit dem Schwert. Andere Methoden waren Ertränken, Verbrennen, Vierteilen, Rädern, lebendig Begraben oder Pfählen.
  7. Wo fanden Hinrichtungen statt?
    Hinrichtungen fanden meist außerhalb der Stadtmauern an eigens errichteten Galgen oder Richtstätten statt, die auch als Begräbnisorte dienten. Nur Enthauptungen wurden teilweise auf öffentlichen Plätzen vollzogen.
  8. Wer war Franz Schmidt?
    Franz Schmidt (1554-1634) war ein bekannter Nürnberger Scharfrichter, der ein detailliertes Tagebuch über seine 361 Hinrichtungen und 345 Leibstrafen hinterließ. Er legte großen Wert auf Korrektheit und Ansehen und setzte sich für eine Abmilderung besonders grausamer Strafen ein.
  9. Was machte Franz Schmidt nach seiner Zeit als Scharfrichter?
    1617 beendete Franz Schmidt seinen Dienst als Scharfrichter und erwirkte 1624 die Wiederherstellung seiner Ehre durch den Kaiser. Danach arbeitete er als Arzt - ein Weg, den auch seine Familie einschlug.
  10. Seit wann gibt es die heutigen Klischees über Henker?
    Erst im Laufe der Frühen Neuzeit bildeten sich jene Stereotype über Henker heraus, die bis heute unsere Vorstellung beherrschen. Die Realität im Mittelalter war weitaus komplexer und variabler.
Bitte gebe die Zeichenfolge in das nachfolgende Textfeld ein.

Die mit einem * markierten Felder sind Pflichtfelder.

Ich habe die Datenschutzbestimmungen zur Kenntnis genommen.